1.4 Zusammenfassung der Kernthesen

KERNTHESE 1. Globalisierte Wissensproduktion und -verwaltung findet als enzyklopädische Tätigkeit interaktiv auf einem dynamischen und universell orientierten Wissens-Corpus statt, dessen Ontologie wir uneingeschränkt zu gestalten und damit zu verantworten haben.

KERNTHESE 2. Die Beherrschung des Wissens als Navigation im reissenden Datenfluss muss als prioritäre Kompetenz von Wissenschaft entwickelt werden. Es ist damit eine Schwerpunktverlagerung hin zu Werkzeugen der Kontrolle des Informationsflusses für die Wissensproduktion zu fordern vor dem Hintergrund eines massiven Eingriffs in das Weltwissen. Dazu müssen neue audiovisuelle und gestische Darstellungsmethoden entwickelt werden für eine Orientierung, welche die alphabetische Ordnung des Text-Paradigmas sprengt.

KERNTHESE 3. Begriffe, die nicht kommunizierbar sind, Kompetenz, die nicht geteilt werden kann zwischen Experten, zwischen Lehrern und Schülern und zwischen Experten und Laien, stellen deren Träger in Frage, weil sie ein privates Wissen anzeigen, an dem die Gesellschaft kein Interesse haben muss.

KERNTHESE 4. Eine Verbesserung der genannten Defizite geisteswissenschaftlicher Forschung könnte aus der Sicht der technologischen Infrastruktur und einer Hintergrundperspektive, die unser Bericht anspricht, mit einem Minimum an politischen und psychologischen Reibungsverlusten in die Wege geleitet werden.

KERNTHESE 5. Die Geisteswissenschaften haben in der Produktion und Verwaltung des Weltwissens im Rahmen eines EncycloSpace eine fundamentale Kompetenz, welche die tragenden Attribute (2.2) dieses Wissensraumes wesentlich mitbestimmen muss. Diese Kompetenz ermächtigt und verpflichtet sie zu einer aktiven Rolle in der Gestaltung von Strukturen und Prozessen des Wissensraumes der Gesellschaft. In der Rekapitulation historisch bekannter Probleme der "universalen Topik des Wissens" können sie proaktiv Orientierung stiften, wo blindes Probieren zu krassen Fehlleistungen führen würde.

KERNTHESE 6. Disziplinarität ist entsprechend dem Paradigma der Unteilbarkeit des Wissens im EncycloSpace zu verstehen als dynamische, d.h raum-zeitlich nicht unveränderliche, situations- und aufgabenbestimmte Trennung in der wissenschaftlichen Beschäftigungsstruktur und Aufgabenteilung.

KERNTHESE 7. Der EncycloSpace übernimmt im experimentellen Paradigma, welches an die Stelle des "Zuschauer-Modells" der Welt tritt, die Rolle des hyperouranious topos, des metaphysischen Fundus. Die Position des denkenden Menschen erfährt dabei einen Perspektivenwechsel vom unbeteiligten Zuschauer zum konzentrisch in diesem Topos eingebundenen Agenten. Zum Experiment mit der Projektion dieses Topos in die äussere Erfahrungswelt gesellt sich -- emanzipiert -- das Experiment mit der inneren Topologie des EncycloSpace.

KERNTHESE 8. Wenn die traditionelle Asymmetrie der gegenseitigen Positionen von Experimentator und Natur aufgehoben ist und aus dem reinen Verhör des Richters (Kant) ein interaktiver Dialog von Partnern entsteht, kann das Experiment an der inneren Natur ohne weiteres als Extension resp. Variante des Experiments an der äusseren Natur gedacht werden.

KERNTHESE 9. Der EncycloSpace ist das produktive Medium von Hermes.

KERNTHESE 10. Der generische Begriff des Experimentes ist der eines symmetrischen Dialogs von Frage und Antwort zwischen zwei Partner-Instanzen, die die Antwort durch Spuren einer Navigation durch Topoi ihrer je und je gewussten Welt suchen und einander dabei beeinflussen können.

KERNTHESE 11. Computer sind die direkte Erweiterung des Paradigmas vom Musikinstrument auf alle Ebenen musikalischer Tätigkeit, im Denken und im Spielen. Der Gemeinplatz vom "learning by doing" der Computer-Gemeinschaft ist nichts mehr als die Erweiterung dieser musikphilosophischen Grundhaltung in den allgemeinen Bereich der Computer-Kultur.

KERNTHESE 12. Die Vernetzung musikwissenschaftlicher Forschung ist weltweit fortgeschritten. Der deutsche Sprachraum kann sich, abgesehen von individuellen Initiativen damit noch nicht messen; er ist noch vor allem ein Nutzniesser von Angeboten, die meistens aus Übersee stammen.

KERNTHESE 13. Musik als geisteswissenschaftlicher Forschungsprototyp ist in ihrer anspruchsvollen Problemstellung ein Modellfall für die Einbettung von Geisteswissenschaften in den EncycloSpace. Sie ist für letzteren darum besonders sensibel, weil die Heterogenität ihrer Objekttypen und Bedeutungsvielfalt eine besonders allgemeingültige Topik und multimediale Darstellung erfordert.

KERNTHESE 14. Es reicht ebensowenig, als Geisteswissenschaftler kompensativ zu reagieren, wie es nicht reicht, als Naturwissenschaftler proaktiv Absurditäten zu produzieren.

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