3.3 Die Rolle der Geisteswissenschaften: Reaktiv, aktiv oder proaktiv?

Lange kann sich eine so verstandene Geisteswissenschaft auf der Tagesordnung der Wissenschaftspolitik nicht behaupten. Denn Kompensation ist nur reaktiv und besitzt so keinen beständigen Eigenwert. Wenn in der heutigen Zeit, wo Restrukturierung (lies: Elimination) von Arbeitsbereichen mit viel weniger Skrupel als noch 1990 betrieben wird, die exklusiv reaktive, "klagende" Rolle verteidigt wird, dann kann die Prognose von Geffrath durchaus eintreffen.

So hat gemäss [100] "am 21. Juni 1997 die Hochschulstrukturkommission der Landesregierung Baden-Württemberg empfohlen, die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universität Karlsruhe aufzulösen. Offenbar sollen die radikalen Sparpläne überwiegend zu Lasten der Geistes- und Sozialwissenschaften durchgeführt werden.(...) Inzwischen ist auch die Philosophische Fakultät der Universität Mannheim zu fast 40 % von den Sparmaßnahmen betroffen." Mit Kompensation können die anderen Wissenschaften nicht eingebunden werden, ihre direkte ökonomische Funktion ist demgegenüber ungleich relevanter in einer Phase chronischer Arbeitslosigkeit.

Wir schlagen zu diesem Szenario vor, die Informations- und Kommunikationstechnologie nicht als einen Horrorpark geistloser Maschinen zur spartanischen Disziplinierung ehrwürdiger Traditionen individueller Geistestätigkeit aufzufassen. Dazu müssen allerdings Inhalts- und Ankerpunkte vorgelegt werden, was wir meinen, mit der Thematisierung der enzyklopädischen Wissensproduktion im EncycloSpace geleistet zu haben. Die Hausaufgaben der Wissensgesellschaft in Beziehung zum dynamischen, interaktiven und universell orientierten EncycloSpace sind noch nicht gemacht. Dieselben sind zunächst einmal Programm, und zwar nicht ein partikuläres, sondern ein allgemeines, welches nicht von Spezialisten der technischen Instrumentalwissenschaften erfüllbar ist.

Aus der historischen und wissenschaftstheoretischen Präambel 2.1, 2.2, 2.3 geht en détail hervor, dass die Produktion und Verwaltung von Wissen im EncycloSpace durchaus essentiell die Kompetenz aus den Geisteswissenschaften erfordert. Dies führt uns zur nächsten Kernthese:

KERNTHESE 5. Die Geisteswissenschaften haben in der Produktion und Verwaltung des Weltwissens im Rahmen eines EncycloSpace eine fundamentale Kompetenz, welche die tragenden Attribute ( 2.2) dieses Wissensraumes wesentlich mitbestimmen muss. Diese Kompetenz ermächtigt und verpflichtet sie zu einer aktiven Rolle in der Gestaltung von Strukturen und Prozessen des Wissensraumes der Gesellschaft. In der Rekapitulation historisch bekannter Probleme der "universalen Topik des Wissens" können sie proaktiv Orientierung stiften, wo blindes Probieren zu krassen Fehlleistungen führen würde.

Es geht also nicht darum, begangene "Modernisierungsschäden" zu kompensieren, sondern den Weg zur Modernisierung wesentlich mitzugestalten, weil andere dies nicht von allein schaffen. Wir werden diesen Aufgabenkatalog in seiner geisteswissenschaftlichen Perspektive im Rahmen von betroffenen Fachbereichen in Abschnitt 4ausfächern und dabei die behauptete Unverzichtbarkeit der geisteswissenschaftlichen Mitgestaltung nachweisen.

 

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