Anhang 9.3
Spezial-Report Philipp Ackermann:
Eintauchen in den EncycloSpace

9.3.1 Quantitative und qualitative Entwicklung der Computertechnologie

An die stetige Weiterentwicklung der Computertechnologie hin zu schnelleren und umfangreicheren Speicher- und Verarbeitungsmöglichkeiten haben wir uns gewöhnt. Täglich neue Schlagzeilen in der Fachpresse zeugen von diesem unaufhaltsamen Prozess. Meldungen über noch schnellere Prozessoren, Netzwerke und Speichermedien bewirken gewöhnlich keine grossartigen Umwälzungen in unserem Alltag. In letzter Zeit sind wir aber Zeuge geworden, dass stetiges Wachstum plötzlich zu einem qualitativen Quantensprung führen kann: Die Verschmelzung bestehender Netzwerktechnologien hin zum Internet und die Etablierung von Softwareprotokollen hin zum WorldWideWeb (WWW) zeitigten plötzlich in verschiedenen Bereichen Auswirkungen, die vor kurzem niemand für möglich hielt. Gültige Verhaltensweisen in der Geschäftswelt, im Bildungwesen oder bei politischen Prozessen werden hinterfragt und aufgrund der technologischen Möglichkeiten neu organisiert. Stichworte wie Business Process Reengineering, Virtual Company, Collaborative Work oder New Public Management sind unter anderem Ausdruck dieses Umbruchs.

Diese Umwälzung, welche durch quantitatives Wachstum der Netzwerktechnologie getrieben ist, wird in nächster Zukunft durch zwei weitere Quantensprünge verstärkt: Neben der Entwicklung bei der Vernetzung, die zum Internet und WWW geführt hat, werden verbesserte Prozessorenleistungen dynamische Modellsimulationen erlauben und gesteigerte Graphikleistungen zu neuartigen, interaktiven Benutzerschnittstellen führen, siehe Bild 32.

Dank der zunehmenden Verbesserung der Prozessorenleistung werden wir in die Lage versetzt, komplexe Modelle auf dem Computer abzubilden, um sowohl strukturelle Repräsentationen als auch dynamisches Verhalten zu simulieren. Solche Modelle bedürfen einer hohen Präzision in ihrer Formulierung, damit sie sich auf die Maschine Computer umsetzen lassen. Damit gewinnen wir die Möglichkeit, Ideen und wissenschaftliche Konzepte soweit explizit zu machen, dass sie zu einer neuartigen kommunikativen Qualität führen, da sie dank interaktiven Benutzerschnittstellen und semantisch hochwertigem Feedback multimedial zugänglich sind. Insbesondere die Visualisierung der Modelle mittels diversen Ausprägungen (textuell, graphisch, dreidimensional) und die Möglichkeit, aus verschiedenen Perspektiven den Zugang zu Modellen aktiv anzugehen, ermöglicht eine kognitiv sehr intensive Auseinandersetzung. Hier ermöglichen Fortschritte in der Graphik-Hardware neuartige zwei- und drei-dimensionale Darstellungsformen, welche das explorative Navigieren und Interagieren in Wissensräumen ermöglichen.

Mittels heutigen Computertechnologien wird eine Unmenge von Informationen verwaltet, sei es in formalisierten Datenbanken oder in unstrukturierten Dokumenten. Das Erfassen komplexer Zusammenhänge bedarf spezifischer Aufbereitung und geeigneter Darstellung der Datenmenge, damit Anwender Einsichten gewinnen und gezielte Interpretationen vornehmen können. Um den Zugriff auf diese Daten zu verbessern, zeichnen sich drei wichtige Tendenzen ab:

1.) Daten müssen anwendungsbezogen aufbereitet werden, so dass die spezifischen Strukturen und Zusammenhänge computerunterstützt transformierbar sind. Applikationen müssen deshalb auf den jeweiligen Anwendungsbereich (disziplin-spezifisch) angepasst sein und entsprechende Modellieroptionen bieten, damit adäquate Wissensrepräsentation möglich ist.

2.) Die Verknüpfung von relevanten Daten mittels Hyperlinks erleichtert das Auffinden und Einordnen von Informationen (Stichworte: WWW, Internet, Suchmaschinen). Dank der globalen Vernetzung spielt dabei die geographische Verteilung der Informationen keine Rolle.

3.) Die computergestützte Transformation von alphanumerischen Daten in multimediale Präsentationen gewinnt stark an Bedeutung, um das Interpretieren der grossen Datenmengen zu erleichtern. Die Visualisierung von Daten unterstützt das Erfassen komplexer Zusammenhänge und erleichtert dem Anwender, Einsichten zu gewinnen und gezielte Interpretationen vornehmen zu können.

Für ein vertieftes Verständnis sind graphische Repräsentationen von Modelldaten oft nicht genügend; vielmehr braucht es Navigations- und Interaktionsmechanismen, um zum Beispiel Simulationen und What-if-Analysen innerhalb eines dargestellten Modelles durchzuführen. Damit diese realisierbar und durch den Anwender bedienbar sind, müssen strukturelle Modellabbildungen, dynamische Modellsimulationen, Visualisierungstechniken und Interaktionsmechanismen eng miteinander gekoppelt werden, siehe Bild 33.

Bild 33. Die enge Kopplung von Modellrepräsentation, Dynamiksimulation und Benutzerschnittstelle.

Computermodelle in dem beschriebenen Sinne dienen sowohl der Erkenntnisgewinnung als auch der Wissensvermittlung. Sie sind gewissermassen die Experimentierstube oder das virtuelle Labor des Wissenschaftlers, weil sie wissenschaftliche Aussagen nachvollziehbar (erfahrbar) und wiederholbar machen [Casti97]. Dies gilt sowohl für naturwissenschaftliche als auch für geisteswissenschaftliche Modelle. Zur rein statischen Beschreibung des konventionellen Wissenschaftsverständnisses kommt nun die Bildung dynamischer Modelle hinzu, was zu einer neuartigen Kulturtechnik mit grosser gesellschaftlicher Relevanz führt [Lévy97]. Aussagen lassen sich dann nicht nur mittels reinen Begrifflichkeiten (kontemplativ) vermitteln, sondern sollen interagierend (empirisch) überprüfbar sein, so dass deren Bedeutung nicht alleine durch Symbole, sondern durch den Symbolgebrauch und daraus resultierendem Verhalten entsteht.

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