7. Die mathematische Darstellungssprache der Denotatoren und Formen für musikalische Objekte

Bis hierher haben wir verschiedene Ebenen der musikalischen Realität und ihren Repräsentationen kennengelernt. Es ist klar geworden, dass man eine grosse Breite an Objekt-Typen hat, der man mit engen Formaten nicht beikommt. Um eine mehr grundsätzliche Diskussion des Problems der Darstellung von Musikobjekten zu erhalten, muss man den allgemeinen Zweck, nämlich die enzyklopädische Repertoirisierung des Inventars an Musikobjekten, vor Augen haben.

Wir wollen zu diesem Zweck die Hintergründe für eine Musikenzyklopädie betrachten. Dazu eine Referenz zur wohl am besten konzipierten Enzyklopädie, der

Encyclopédie et dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers

des Mathematikers Jean Le Rond d'Alembert und des Schriftstellers Denis Diderot, siehe Bild 59. Sie wurde 1751-1780 in insgesamt 35 Bänden hergestellt und bezeugt eines der am besten durchdachten enzyklopädischen Projekte überhaupt.


Encyclopedie

Bild 59: Encyclopédie


Die Encyclopédie ist ein Werk, das zusammen mit dem umfassenden Stoff ein Orientierungs- und Navigationsprinzip realisiert, das auch für unsere Internet-Probleme lehrreich ist. Bild 60 zeigt das Tableau figuré der Encyclopédie, eine Geographie des Wissens, welche den Ideen von Francis Bacon nachempfunden ist.
tableau

Bild 60: Tableau figuré: die Geographie der Navigation im Wissen


Auf dieser Geographie sind nicht nur viele lokal-globale Bereiche wie Kontinente zu erkennen, es ist auch ein "Verkehrsstrassen-Netz" der Navigation durch das Wissen thematisiert. Sylvain Auroux hat die Semiotik der Encyclopédie ausführlich untersucht und diese Gewaltsleistung der Ordnung menschlichen Wissens und Könnens nach drei Charakteristika beschrieben, siehe Bild 61, es sind dies: Vollständigkeit, Einheit und Diskursivität.
Auroux

Bild 61: Charakteristika gemäss Auroux


Ein enzyklopädisches Format für Musikobjekte

Wir haben diese Erkenntnisse umgesetzt im Rahmen der enzyklopädischen Beschreibung von Musikwissen und dessen Objekten. Dies geschah nicht zuletzt aufgrund einer lange Reihe von Diskussionen mit Musikwissenschaftlern und -ethnologen, die uns immer wieder klar machten, dass eine Enzyklopädie musikalischen Wissens und der damit verbundenen Begriffsbäume eine offene und jederzeit durch jede Person veränderbare sein müsse.

Wir habe deshalb die Erkenntnisse von Auroux über die Enzyklopädie wie folgt umgesetzt, siehe Bild 62. Die Bildung von Begriffen gehorcht dem Prinzip der Rekursivität, wodurch die Charakteristik der Einheit übernommen wird. Ferner soll eine möglichst umfassende Verzweigungsstruktur angeboten werden in den rekursiven Rekursionsmodi. Damit soll Vollständigkeit garantiert werden. Und schliesslich haben wir Diskursivität versucht zu erreichen durch ein jederzeit erweiterbares Format, also nicht durch die in den bekannten Datenbanksystemen jeweils fest codierten Deklarationen.


Prinzipien

Bild 62: Prinzipien


Die eigentlichen Objekte des Wissens haben wir als Punkt resp. Substanz in einem Raum resp. einer Form gemäss Aristoteles modelliert, siehe Bild 63. Man sieht in dieser Übersicht, dass die Substanzpunkte Denotatoren heissen, ein Begriff, der semiotischen Ursprungs ist. Ein Denotator ist also auf einen Raum resp. eine Form bezogen, eine Art Umfeld, worin der Denotator sich als Punkt bewegen kann. Im Gegensatz zu mehr konservativen Ansätzen der Datenbank-Theorie ist hier jeder Denotator-Punkt mit seinem eigenen Raum versehen, den er mit sich herumträgt wie eine Schnecke. Damit wird zwar der Begriff etwas belastet, aber man gewinnt eine absolute Autonomie der räumlichen Referenz, die ein Punkt besitzt.
Denotator

Bild 63: Der Denotator-Formalismus: Übersicht!


Der Denotator und seine Raum-Form werden nun nach den enzyklopädischen Prinzipien rekursiv bestimmt, der Denotator durch "Koordinaten-Denotatoren" und die Form durch Koordinator-Formen, eine Art Koordinatenachsen, worin die Koordinaten-Denotatoren wiederum (rekursiv bestimmte) Punkte sind.

Wir werden in der nächsten Lektion die Implementierungs- und Formalisierungsfragen zu diesem Formalismus genauer diskutieren. Heute geben wir erst mal einen systematischen Überblick.

Einfache Formen und Denotatoren

Wir wollen diese Typologie nun etwas genauer anschauen, zuerst die Grundtypen, aus denen sich andere aufbauen lassen: die einfachen Formen und deren Denotatoren. Es sei vorausgeschickt, dass diese Grundtypen der Informatik und Programmierung und der Anschaulichkeit einer Einführungsvorlesung angepasst sind, und dass man in Realität viel mehr "Grundtypen" benutzen muss, sogenannte Moduln, aber das wollen wir hier nicht vertiefen.

Man bezieht sich auf vier Grundtypen von Formen, sogenannte einfache oder simple Formen. Hier sind sie:

Die Beispiele ersieht man alle aus Bild 64.


Simple

Bild 64: Simple Denotators


Dieses Verzeichnis von Grundtypen ist gewissermassen die letztendliche Substanz, aus welcher sich die anderen Konstruktionen in der Regel ableiten lassen.

Zusammengesetzte Formen und Denotatoren

Die rekursive Konstruktion beruht auf vier Verzweigungstypen, siehe Bild 65. Die Typen und Beispiele dazu sind alle in Bild 65 angegeben.


Compound

Bild 65: Compound Denotators


Erste Beispiele

Wir geben als Übung zwei Beispiele von Formen und Denotatoren in graphischer Darstellung an. Zuerst eine Piano-Note, Bild 65.


Piano-Note

Bild 66: Piano-Note


Als zweites Beispiel geben wir eine zirkuläre Form an, welche die Struktur eines FM-Sounds einfängt, siehe Bild 66. Man gehe die Beispiele Punkt für Punkt durch und überlege sich, wie die hier gegebenen Formen/Denotatoren zu den uns schon bekannten Objekten (Noten, FM-Sounds) in Beziehung stehen.
FM-Object

Bild 67: FM-Object

ZURÜCK WEITER